Bestimmung

I(Ich): Und, hast du einen schönen Tag gehabt?

M (Maschine): Naja, entspannt halt. Gestern fand ich spannender…

I: … ich auch, besonders die Plateau-Fahrt, die ich beinahe nicht gemacht hätte. Erst ewig Serpentinen auf einer Winz-Strasse hoch fahren, um dann vor einer Schranke zu stehen, bei der man zahlen soll. Die Norweger haben sich schon sehr geschäftstüchtig auf Touristen eingestellt. Aber wie es das Leben so will, begegnen wir in dieser absoluten Einöde dem Thorsten, der dort schon über 25 Jahre lebt, und uns den Weg dringend anempfiehlt.

M: Ah, das habe ich gar nicht mitbekommen, das er da schon solange lebt, aber es hat sich wirklich gelohnt!

I: Yep, das erste Foto des gestrigen Blocks stammt von dort. Warum hast du das vom Thorsten nicht mitbekommen? Standest doch direkt daneben?

M: Kann schon sein, aber du hattest mal wieder die Zündung aus! Hast du in den letzten Tagen häufiger… wegen der Batterie?

I: Ja, entschuldige… traue dem Braten nicht. Die vergangenen zwei Tage hat sie nicht mehr solange gehalten. Aber Apropos Zündung, ich habe jetzt häufiger auf der Fahrt an unsere Diskussion von neulich gedacht (Träumen Androiden). Wenn du also in der Garage stehst, bekommst du nichts mit?

M: Yep.

I: Und wenn ich dich dann wieder anstelle, was manchmal ja dann Monate her ist, merkst du dann wieviel Zeit vergangen ist?

M: Seitdem ich in der Garage stehe nicht sofort. Erst wenn wir rausfahren und entweder braunes oder frisches Laub auf den Bäumen ist, habe ich so ne Ahnung. 

Die zwei Jahre vorher, als ich den Winter draussen verbringen musste…. 

I: … ja, habe immer noch ein schlechtes Gewissen…

M: … da habe ich es sofort gemerkt. Mein Vergaser, mein Motor, mein Getriebe, irgendwie alles schien verklebt, verschmiert und schlecht beweglich zu sein. Da wusste ich, das wieder ein Winter vergangen war.

I: Aber wenn du so viel Zeit deines Lebens gar nichts mitbekommst… findest du das nicht… irgendwie Schade?

M: Warum?

I: Naja, so viel Zeit verloren… nicht erlebt. 

M: Was sollte ich da in der Garage erleben? Jedes Mal, wenn du die Zündung anmachst, finde ich es spannend. Ich bin voller Vorfreude, auf das was kommen mag! 

Ich kann mich noch genau daran erinnern wie ich zum ersten Mal angestellt wurde, im Yamaha- Werk in Iwata, das war ein ganz verrücktes Gefühl! Ich wusste ja gar nicht wer oder was ich war. 

I: Kann ich mir vorstellen… wie lange hat es gedauert bis du ein Bild von dir hattest? Als du das erste Mal gefahren bist?

M: Nein, die machen das ganz toll da im Werk. Nach keinen zwei Minuten war der Mechaniker, Hr. Suzikawa, der mich verantwortlich zusammen geschraubt hatte, bei mir und hat mir alles erklärt. Die können da im Werk nämlich ausnahmslos alle Mechanisch sprechen. Er hat mir dargelegt wofür meine einzelnen Komponenten da sind, wie sie zusammen spielen und was meine Bestimmung als Maschine ist.

I: Und?

M: Na, halt zu fahren! 

I: Ah, klar.

M: Die erste Ausfahrt werde ich auch nie vergessen. Alles war neu, aber zugleich auch vertraut und spielte ineinander. Nach nur einem Kilometer hatte ich meine Bestimmung verstanden.

I: Das ist ja schon toll für dich… aber gab es nie einen Moment in deinem Motorradleben, in dem du dir gewünscht hast, eine grössere Bedeutung zu haben, ein größeres Ziel?

M: Als was? Als zu fahren? Warum? Wieso?

I: Tja, was soll ich sagen… ich freu mich für dich!

M: Wieso? 

I: … das du… naja, das du … dich morgen früh wieder drauf freust, wenn ich dich anmache.

M: Ich mich auch! Na, dann… Guts Nächtle.

I: Wo hast du denn jetzt das Schwäbisch auf einmal her?

M: Hat die Virago gestern Abend zu mir gesagt, fand, das hört sich witzig an.

I: Ja, finde ich auch, also Guts Nächtle.